ERT 17, Tag 8: Was hat dich bloß so runiert?

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Tourmalet. Been there, done that. Irgendwann will  ich aber auch mal sehen, wie es hier aussieht.

Seit ich die Europaradtour mitfahre, gibt es zwei Ereignisse, auf die man sich verlassen kann. Das eine: Es kommt der Tag, an dem ich ausraste. Das andere: Es regnet. Ausrasten müsste noch kommen. Der Tag mit dem Regen war heute. Mehr müssen es von mir aus auch nicht werden.

Am Anfang sieht es noch gar nicht so schlecht aus. Nur eben ziemlich neblig, als wir den Rest vom Col d’Aubisque raufkurbeln. Gut, dass ich gestern schonmal oben war und mich an der Aussicht berauscht habe. Heute liegen die Abhänge zur Linken in weißem Dunst, man kann die ganze Pyrenäenschönheit dahinter nichtmal erahnen. Als ich oben ankomme, hüllen sich Tierchen, Sascha und die anderen, die vor mir los sind, gerade in ihre Abfahrerkluft. Ich ziehe die Regenjacke an und fange an, langsam runter zu rollen. Großer Sport ist das nicht, was ich hier abziehe. Aber hey, diesmal ist es nass und ich hab ne Ausrede für meine nicht mehr vorhandenen Abfahrtskünste. Nur dass die ohnehin keiner hört, weil alle längst weg sind.

Viele Kilometer später sehe ich das Rudel wieder am Straßenrand stehen. Planänderung: Kurze Strecke statt lange, der Tourmalet wird wegen Wetter gestrichen, wir fahren nach Lourdes, Versehrte gucken. Moment mal, Sascha und der Salamandermann verzichten freiwillig auf einen Pass? Okay, die stehen bestimmt noch unter dem Einfluss ihres gestrigen Höhenmetermassakers. Ich dagegen hab noch Nachholbedarf an epischem Kram, außerdem ist der Tourmalet ein Tour de France Monument und wer weiß wann ich nochmal in die Gegend komme blablabla. Die pure Vernunft hat jedenfalls keine Chance und so verzichte ich auf die Freakshow im Wunderheilungsort und klemme mich an die Hinterräder von Johannes und Ulrich, die sich den Tourmalet auch nicht entgehen lassen wollen.

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Kitkat und Cola. Essen wie Gott in Frankreich hab ich mir irgendwie anders vorgestellt.

Ein Kaffee vorher wäre schön. Im Touristenort vor dem Anstieg gibt es zwar verlockende Boulangerien und Patisserien zuhauf, doch die haben gerade alle Mittagspause, so ungefähr von 12 bis 16 Uhr. Kein Wunder, dass die Franzosen tendenziell schlank sind. Essen können die ja fast nie kaufen. Immerhin finden wir einen gut sortierten Supermarkt, vor dem wir uns schnell Fertigwaffeln und Kaffee aus dem Kühlregal einverleiben. Hab ich erwähnt, dass Radfahren kulinarisch anspruchslos macht?

Über den Aufstieg auf den Tourmalet kann ich nicht viel sagen. Er ist ganz angenehm zu fahren. Der Ausblick beschränkt sich heute allerdings auf 20 Meter Asphalt vor mir, der Rest ist Nebel. Wenigstens erkenne ich dann auch nicht die Schluchten, die sich womöglich neben mir auftun. Ob das so klug ist, da heute raufzuklettern? Außer mir habe ich bis jetzt nur einen älteren Typen ohne Helm gesehen, und der sah nicht so aus, als würde er es bis nach oben schaffen. Ein paar Kilometer später erahne ich keine 30 Meter vor mir eine schemenhafte Gestalt auf dem Rad. Okay, es gibt also doch noch ein paar Verrückte. Sogar mehrere, und die sammle ich jetzt einen nach dem anderen ein. Ich will jetzt endlich oben sein. Oder noch besser: wieder unten. Denn die Abfahrt wird kein Spaß, das weiß ich jetzt schon.

Und sie ist dann sogar noch schlimmer als erwartet, denn kurz nach dem vernebelten Gipfelfoto fängt es an zu regnen. Es ist kalt, es ist nass und ich sehe nix. Nur einen Esel, der auf der Straße steht. Kann ich nicht auf dem runterreiten? Alle paar Meter muss ich anhalten, weil Hände und Nacken vom vielen Bremsen schon ganz steif sind. Um die Strecke zu sehen, muss ich auf den Garmin gucken. Aber selbst als es schnurgerade runter geht, und als der Nebel sich lichtet, traue ich mich nicht, laufen zu lassen. Warum zum Teufel bin ich auf einmal zu blöd, Berge runter zu fahren? Noch vor zwei Jahren bin ich Pisten mit badewannengroßen Schlaglöchern nach dem Motto „wer bremst, verliert“ runtergekachelt. Und jetzt? Ein Trauerspiel. In meinem Kopf spielen die Sterne: „Wo fing das an und wann? Was hat dich irritiert? Was hat dich bloß so ruiniert?“

Mein Lied! Auch in der dritten Abfahrt des Tages vom Col d’Aspin. Es ist immer noch feucht und außerdem wurde an der Seite gerade Gras gemäht, es könnte glatt sein! Irgendwas ist immer. Jetzt ist erstmal Pastaparty in unserem Wifi-freien Chalet. Sie hat immer Hunger, sie muss immer essen… Morgen gibt es übrigens wieder ein Träck, der wie ein Titel von den Sternen klingt: Vier Pässe, 160 Kilometer, 3800 Höhenmeter. „Gerechtes Brett!“

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