
Vor zehn Jahren saß ich das erste Mal mit Klickpedalen und voller Sportmontur auf dem Rennrad. Das war bei Rund um Berlin. Am Vorabend war ich noch zu Karstadt Sport geeilt und mit Handschuhen und ein paar Socken wiedergekommen. MTB-Helm („Ich seh aus wie ein scheiß Pilz“, Lisz 2009) und Dynamics-Hosen („Ein Atompilz mit Presswurst-Stiel“ ebenfalls Lisz 2009) hatte ich ein paar Tage vorher bei Stadler besorgt. Trotz dieses albernen Aufzugs und des für meine Begriffe viel zu frühen Starts („Elender Frühaufstehersport“, wieder Lisz und da hatte sie Recht) hatte ich Spaß an diesem heißen Augustsonntag. Mit 32 km/h das Krötenpeloton anzuführen fühlte sich an wie Fliegen, meine Trikottaschen dehnten sich über den eingesackten Müsliriegeln und die Sache mit dem Ein- und Ausklicken klappte auch ganz gut. Rumlaufen weniger, ich hatte mir MTB-Cleats auf die glatten Rennradsohlen montiert.

Kurz hinter Potsdam (RuB startete damals noch am Olympiastadion) wurde es ruhiger im Feld und meine Mitfahrer raunten etwas von einem gewissen „Willy“, der vorm Ziel noch im Weg stünde. Trommelwirbel im Liszkopf, wann kommt er denn nun, dieser Berg, diese garstige Rampe, der bedeutsamste Pass des Berliner Mittelgebirges? Ein paar Kilometer weiter wusste ich dann, was sie meinten. Aua. Sehr platt und sehr glücklich rettete ich mich ins Ziel, ich glaube, damals wurde noch echtes Bier gereicht. Der Endorphinrausch hielt ungefähr so lange an wie der Muskelkater und ich schwor mir, sowas künftig öfter zu machen.
Mit Rund um Berlin sollte es zwar erstmal nichts mehr werden, beim Radfahren bin ich aber geblieben. Zum Glück. Ohne Rennrad wäre ich wohl nie nach Gran Canaria gekommen, nie nach Chiang Mai, Horni Bradlo oder auf den Galibier. Ohne Rennrad hätte ich eine ganze Menge Menschen nicht kennengelernt und um manche wär’s echt schade. Ohne Rennrad hätte ich nie eine Notaufnahme von innen gesehen. Ich wäre nie dem Geschmack von Erdinger Alkoholfrei erlegen und würde das schöne Gefühl nicht kennen, eine Bäckerei zu betreten und sich vor der Theke zu überlegen, welches Gebäck denn nun die MEISTEN Kalorien hat. Ich hätte niemals 200 Euro für Hosen aus Kunstfaser ausgegeben, sondern all mein Geld für sinnlosen Tand verschleudert. Ich hätte meine Wochenenden werweißwo verbracht, es wäre alles ziemlich öde gewesen. Oder auch nicht, wer weiß das schon.

Ich war heute jedenfalls aus Jubiläumsgründen wieder bei Rund um Berlin am Start. Aus dem ersten rennradfreien Urlaub seit Jahren hatte ich 2 Wochen Trainingsrückstand und zwei Kilo extra Gewicht mitgebracht, Wingman Tom litt immer noch unter den PBP-Nachwirkungen und musste passen. Nicht die besten Bedingungen also, aber was soll’s, das Wetter war einfach zu schön um den Sonntag im Berghain zu verbringen und ausnahmsweise hatte ich es am Samstag sogar um Mitternacht ins Bett geschafft. Für den Start der Ballergruppe war ich trotzdem zu spät dran, die war schon weg, als ich um 10 vor 8 vom Klo kam. Es ist eben immer noch ein elender Frühaufstehersport.
Also Start auf der Resterampe, zusammen mit Mamils, Vereinsfahrern und ein paar versprengten Hipstern. Erfreulicherweise waren auch ein paar Bekannte dabei und während ich plauderte, hatte ich keine Muße, mir über meinen 180er Puls Gedanken zu machen. Lange Führung gleich am Anfang – clever. Die erste Verpflegung kam schon nach 35 Kilometern, die wollte ich auslassen. Hab ich dann auch, nur dass ich dann in Richtung Grunewald alleine im Wind krepierte – auch schlau. Am Willy rollte die nächste Gruppe auf, ich ließ es bereitwillig geschehen und freute mich auf 170 Kilometer Windschatten. Das hat dann mal mehr, mal weniger gut geklappt. Ich möchte mich an dieser Stelle bei den nimmermüden Windarbeitern bedanken und mich nicht über die Dreistigkeit der Führungsverweigerer beschweren, die zappzarapp kilometerlange Löcher reißen oder – ach, was solls: Fahrt ihr Lappen oder kauft euch E-Bikes!
Wie auch immer, nach 50 Kilometern brannten meine untrainierten Beine, nach 150 schliefen mir die Hände ein, aber immerhin gab’s dazwischen alle Nase lang Pause und irgendwann auch Rückenwind. Ich war trotzdem ganz froh, nach 215 Kilometern wieder in Buckow einzulaufen. Der Endorphin-Flash fiel diesmal weitgehend aus, der Muskelkater nicht. Und immerhin hatte ich heute nen vernünftigen Helm auf.
Strava: https://www.strava.com/activities/2650699508
Strava damals gab’s nicht. Wir hatten ja nichts, nichtmal Garmins.
Fein, Fein!
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