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Chiang Mai 3: Berge seltsam, Wetter gut

Welcome to the jungle

Ich hab ein neues Hobby: Wellness. In Berlin hab ich noch nie einen Fuß in ein Massagestudio gesetzt, hier war ich schon in dreien innerhalb von gut einer Woche. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der alte Körper vorher oder nachher weher tut, aber wenn ich schon jemanden dafür bezahle, dass er mir mit den Ellenbogen in den Rücken bohrt, dann will ich auch länger was davon haben. Nein, kein Happy End.

Sportlich macht sich das Massageprogramm noch nicht so richtig bemerkbar, die angepeilte Leistungsexplosion ist bislang jedenfalls ausgeblieben. Ich hab eine Vermutung, woran das liegen könnte: Die Berge hier sind nicht wie die in Europa. Sie sind unkalkulierbare Verwandlungskünstler, die steiler und länger werden, je öfter man drüber fährt. Und die restlichen Straßen – ich weiß auch nicht. Die Runde vom ersten Tag kam mir eigentlich gar nicht so schlimm vor. Flach, langer Berg, kurze Abfahrt, kurzer Berg, Abfahrt, steiler Berg, Abfahrt, fertig. So hatte ich das abgespeichert. Als wir das ganze dann aber mal in die andere Richtung fahren wollten, hat plötzlich jemand umgebaut. Die Berge sind noch da, nur sind sind die Anstiege jetzt ungefähr dreieinhalb mal so lang wie die Abfahrten beim ersten Mal. Und das ist eine vorsichtige Schätzung! Und dort, wo eigentlich unser Haus stehen sollte, kommen erstmal 20 Kilometer Baller-Highway. Kurios.

Die Straßen sind hier meistens in sehr brauchbarem Zustand.

Es gibt natürlich auch Berge, die schon bei der Ersterkletterung täuschen und tarnen. Der Mon Cham zum Beispiel. Der Kanadier von Tag eins hatte uns diesen Brocken mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Erschaudern ans Herz gelegt. Es gebe da Stellen von 35 Prozent Steigung: “This mountain teaches you a lot”. “Na sicha du Knilch,” denke ich und überlege, was mir so ein Thai-Berg wohl beibringen kann, was ich nicht schon an der Mauer von Baruth oder in irgendwelchen europäischen Hochgebirgen gelernt hätte.  

Der Weg zum Gipfel  beginnt dann auch mit einem soften Rollereinstieg, streckenweise ist mal das 32er-Ritzel gefragt, aber dann geht auch schon wieder leicht  bergab und nach rund fünf Kilometern summe ich den alten “Ärzte”-Klassiker: “Ist das alles?”. Ist es dann natürlich nicht. Das Schöne an den langen Thai-Bergen: Meistens wird es zwischendurch mal flacher oder es geht sogar mal runter. Weniger schön: Danach geht es meistens umso steiler wieder rauf. Der Mon Cham ist das beste Beispiel, immer wieder entlässt er einen kurz aus seinem Würgegriff, um dann umso unbarmherziger wieder zuzudrücken.

Ich rätsele immer noch, was mir der Berg nun beibringen wollte, außer dass ich da nicht so schnell wieder hoch will. Tom hat gelernt, dass man in Thailand lieber zwei Trinkflaschen mitnimmt. Man kann gar nicht so viel trinken wie man alles wieder ausschwitzt. Zum Glück bekommt man hier an jeder Ecke Flüssigkeitsnachschub. Die Versorgungslage ist überhaupt sehr erfreulich, egal ob auf irgendwelchen Gipfeln oder auf dem platten Land (ja, das gibt’s hier auch). Man kann eigentlich kaum mal 10 Kilometer fahren, ohne dass irgendwo ein Minimarkt oder irgendein Stand mit Obst, Gemüse oder Gegrilltem kommt. “Streetfood” heißt das wohl bei Leuten, die Donnerstags mit dem SUV in die Markthalle 9 pendeln.

Essen mitnehmen braucht man eigentlich nicht, das ist hier ja nicht Brandenburg.

Apropos Essen: Das ist hier fast immer lecker, aber meistens auch schön scharf und es hat ein paar Tage gedauert, die europäischen Gaumen daran zu gewöhnen. Aber als Radfahrer bringt man ja eine gewisse Freude am Leiden mit und inzwischen löffeln wir noch extra Chili über unsere Fitfuckerspeisen. Danach läuft uns dann meistens die Nase. Schleimhäute-Katharsis ist aber auch ganz willkommen bei der Feinstaubbelastung hier. In Thailand gibt’s keinen Tüv und erst recht keine Abgasuntersuchung, partikelfiltertechnisch ist vieles, was hier rumfährt auf dem Stand von 1950 oder so. Das nervt ein bisschen, wenn man zum Beispiel im Feierabendverkehr zehn Minuten hinter 20 Mopeds an irgendeiner Ampel steht. Und noch mehr, wenn man mitten in grüner Dschungelnatur einen Berg hochhechelt und sich dabei Luft in die Lungen zieht, die so klar ist wie in einem Parkhaus, in dem die Belüftung nicht funktioniert.

Aber wie sagte Toms alter Trainer Werner Mies aus dem Ruhrgebiet so schön: “Lieber draußen Krupphusten holen als drinnen den Hintern platt sitzen”. Ich finde ja, man kann sich drinnen auch prima bei der Thaimasage plattklopfen lassen. Aber die muss man sich ja auch erstmal verdienen.

 

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Chiang Mai 1: Mai Thai? Nee, Thai-Januar

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Traumstrände, Vollmondpartys, Sextourismus, Tempel – interessiert uns alles weniger, aber Radfahren kann man hier wohl auch ganz gut.

Es gibt ein paar gute Gründe, Berlin zu lieben. Der Winter gehört nicht dazu. Deshalb bin ich seit vorgestern in Thailand, genauer im Norden, in Chiang Mai. Dort sollen ganz passable Bedingungen zum Radfahren herrschen, so stand es jedenfalls im Tour-Forum. 20 bis 30 Grad, viel Natur mit brauchbaren Straßen und ein paar Bergen. Dazu thailändisches Essen und günstige Massagen – Tom und ich fanden das ganz überzeugend und haben Flüge gebucht.

Während sich am Silvesterabend der Feinstaubnebel über Berlin legt, sitzen wir in der Boeing 787 hinter brüllenden Babies und gucken uns das Feuerwerk über Warschau an, bzw. das, was durch die Wolken davon zu erkennen ist. Zwischenziel: Doha. Dort haben wir 14 Stunden Aufenthalt, Quatar Airlines zahlt uns dankenswerterweise ein Hotel, doch zunächst scheint es gar nicht so sicher, dass wir den Flughafen überhaupt verlassen dürfen. Dem Beamten am Ausreiseschalter gefällt Toms Reisepass nicht, weil der ein bisschen ramponiert ist. “What is this?”, fragt er fünfmal, während er mit stumpfem Blick auf das beschädigte Papier stiert. Die Erklärungsversuche will er aber gar nicht hören. Stattdessen alarmiert er einen Kollegen, der beide unsere Pässe an sich nimmt, uns ein paar Meter weiter wegführt und stehen lässt.

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Der Abschied von Tegel fällt nicht so schrecklich schwer.

Ich bin müde, hab Hunger und folglich ziemlich schlechte Laune. Ein Verhör zu vergangener Reisetätigkeit in Staaten, die vom WM-Ausrichter 2022 bis heute nicht anerkannt werden, dürfte jetzt für alle Beteiligten nicht so angenehm werden. So weit kommt es dann aber zum Glück doch nicht. Der neue Beamte stolziert in seiner schmucken schwarzen Bundfaltenuniform ein paar Mal vor den Ausreiseschaltern auf und ab, plauscht mit Kollegen, wendet unsere Pässe hin und her, macht aber keine Anstalten irgendwas zu prüfen. Schließlich bekommen wir sie wieder und lassen uns schnellstmöglich zum Westin-Hotel kutschieren. Auf dem Weg durch die gerade erwachende Stadt sehe ich eine einzige Frau, ansonsten nur Männer aus weiter entfernten Teilen von Asien. Im Hotel ist es nicht besser. Der freundliche Rezeptionist weist uns auf die Happy Hour-Angebote in der Bar hin. Nee danke, nach den letzten bacchanalen Wochen in Berlin kommt uns der Aufenthalt im Abstinenzlerstaat eigentlich ganz Recht. Das Frühstück verpassen wir auch, stattdessen ein paar Stunden schlafen und ab in die Sauna, natürlich Männer und Frauen getrennt.

Zurück am Flughafen gibt’s zum Glück keinen Ärger, der Flug läuft reibungslos, diesmal lassen wir uns nichtmal mehr Gin Tonic ausschenken, denn ab jetzt ist das Programm klar: in Thailand wird gefitfuckt, keine Diskussion. Ob das klappt? Zuletzt war ich im Herbst in Kroatien ernsthaft Radfahren, danach beschränkte sich körperliche Ertüchtigung auf halbstündige Ausflüge auf die freie Rolle und diverse Sporttechno-Nächte. Mal sehen, was von der Form noch übrig ist. Aber bitte noch nicht heute.

Um kurz vor 8 Uhr morgens klettern wir vor unserem Quartier aus dem Taxi. Vor 40 Stunden sind wir noch durchs Berghain gesprungen. Das fühlt sich jetzt sehr viel weiter weg an als die 8000 Kilometer zwischen Berlin und Chiang Mai. Zum ernsthaft Radfahren sind wir zu übernächtigt, aber Rumlaufen geht und so brechen wir erstmal zu einem kleinen Gewaltmarsch auf, um zu gucken, wo wir hier eigentlich gelandet sind.

Auf jeden Fall in einer Stadt, in der Fußgänger nicht wirklich vorgesehen sind. Bürgersteige sind holprig, schmal oder gar nicht erst vorhanden, und wenn, werden sie auch gerne von einem der Millionen Mopeds als Ausweichstrecke genutzt. Ampeln gibt’s so gut wie keine. Zu allem Überfluss herrscht auch noch Linksverkehr. Das kann ja heiter werden. Zum Glück scheinen die Autofahrer nicht besonders mordlustig zu sein, das macht Hoffnung für morgen. Da versuchen wir dann mal, uns mit den Rädern aus der Stadt zu hangeln. Tom hat einen Träck gebaut, der angeblich 3500 Höhenmeter auf 80 Kilometer versammelt und ich bin zu müde, um ernsthaft zu protestieren. Er wird schon sehen, was er davon hat.  

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ERT 18, Tag 12: All out

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Katalonisches Stillleben.

Es gibt ja so Vorhaben, da denkt man, die sind nicht weiter schwer, die reißt man auf einer Arschbacke ab. Und dann fängt man an und merkt, dass man sich da gewaltig getäuscht hat. Wer schonmal versucht hat, einen Arbeitslosengeldantrag auszufüllen, weiß wovon ich spreche. Oder einen Ikea-Pax-Schrank aufzubauen. Bei Angriffskriegen ist das Phänomen auch  häufiger zu beobachten. (Hat jemand Stalingrad gesagt?) Beim Radfahren kann das auch passieren. So wie heute.

Die Aufgabe erscheint angesichts dessen, was wir in den letzten Tagen so getrieben haben, geradezu lächerlich: 130 Kilometer mit Rückenwind nach Barcelona runterrollen, gnädigerweise hat der Streckenchef noch einen kleinen Hügel eingeplant, an dem wir Gelegenheit haben, ein paar letzte Höhenmeter zu sammeln. Tom und ich sind von diesem Tagesprogramm dermaßen unbeeindruckt, dass wir erst losrollen, als alle anderen längst über alle Berge sind. Oder das, was hier im Flachland davon übrig ist. Die Mitfahrer müssen aber auch alle früh da sein, weil ihre Edelfräsen heute nachmittag verladen werden sollen. Uns ist das egal, wir nehmen die Räder im Auto mit nach Berlin. Also wenn das Auto noch da steht, wo Tom es vor zwei Wochen geparkt hat. (Spoiler: ja!)

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Schöner als Fitfucker-Hinterräder: Landschaft.

Wir fahren aus Berga raus und es ist herrlich. Nicht ganz so imposant wie die letzten Tage oben im Hochgebirge, aber allemal besser als Brandenburg. Zugegeben, keine Kunst, aber wir wissen das zu würdigen. Böden zwischen saftigem Grün und kargem Steppenbraun, vereinzelte Höfe, Landwirtschaft und am Horizont Berge, Berge und noch mehr Berge. “Das ist hier so, wie die Toskana gerne wäre”, sagt Tom, der Italien hasst und Spanien mag. Wir bummeln gerade herum, weil ich einen Platz zum pinkeln suche, da hören wir von hinten ein Pfeifen und das Sirren teurer Naben. Ich erwarte ein spanisches Semi-Pro-Team, es ist aber nur das ERT-Fitfuckergeschwader, also das erweitere. Die Berliner Gäng fährt heute zum Abschluss nochmal zusammen. Aber ich will lieber die letzten Reste Spanien angucken statt irgendwelcher Hinterräder. Außerdem haben wir es ja nicht so eilig. Die anderen aber offenbar auch nicht, schließlich haben sie gerade schon die erste Kaffeepause hinter sich.

Wir wollen uns das Koffein lieber für die Zeit nach der Verpflegung aufheben, die dann allerdings später kommt als erwartet. Am Buffet-Tapeziertisch herrscht gedämpfte Partystimmung. Letzter Tag, alles muss raus. Der Pfeffiboy (die Leser des Norwegenblogs werden sich erinnern) konnte dieses Mal nicht mit dabei sein, hat uns aber eine Flasche Pfefferminzlikör zukommen lassen, die endlich geleert werden muss. Prost! Ein Schluck kann nicht schaden, wir sind ja eh schon fast in Barcelona.

Davor kommt allerdings noch der angekündigte Hügel. Tom hustet wie ein Bergarbeiter nach 40 Jahren im Braunkohleabbau und ich nutze die Gelegenheit zur Flucht. Die letzten Höhenmeter! Da muss ich meine Kräfte auch nicht mehr einteilen, es ist wie Bulimie nach All-Inclusive-Buffet: alles muss raus! Was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß: das hier ist nur die erste kleine Kuppe zum Warmwerden. Nach einer kurzen Abfahrt kommt noch ein etwas längerer Hügel. Und danach ein richtiger Berg. Als der dann anfängt, habe ich schon alle Reserven verpulvert und krieche jetzt lahm wie am ersten Tag in Richtung Gipfel. Hieß es nicht, es geht heute nur noch bergab? Pfff. Tom hat seinen Husten in den Griff bekommen und ist natürlich längst entschwunden. Die surrealen Gesteinsformationen um mich herum bieten was fürs Auge, aber ich verliere trotzdem langsam die Lust. Hin und wieder kommen mir Spanier auf teuren Rädern entgegen. Ist hier vermutlich sowas wie der Hausberg der Barcelonenser. Als ich endlich oben ankomme, steckt sich der fitteste Raucher der ERT schon wieder eine Zigarette in den Kopf. Find ich gut. Der soll auf keinen Fall noch schneller werden.

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Am Ende hatte der Streckenplaner wohl auch keine Lust mehr.

Die Abfahrt verspricht spaßig zu werden – endlich fängt der Teil mit dem “nach Barcelona runterrollen” an. Aber mein Begleiter kommt nicht weit. Speichenriss. Verdammt. Welch profanes Ende unserer epischen Tour. Wir rufen die Crew, die ihn aufsammeln soll und für mich geht die Fahrt alleine weiter. Tom drückt mir vorher noch seinen neumodischen Touchscreen-Garmin in die Hand, weil auf meinem mal wieder kein Kartenmaterial drauf ist. Ich stopfe das Ding aber erstmal in die Trikottasche. Als ich es dann tatsächlich ein paar Kilometer später gebrauchen könnte, sind alle Anzeigeoptionen verstellt. Der Träck führt jetzt einen virtuellen Weg entlang, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Zumindest kann ich ihn nicht erkennen. Nur eine schmale, wurzeldurchwirkte  Schotterpiste. Ernsthaft? Davon war in der Streckenankündigung aber keine Rede! Ich wende, drücke ungläubig auf den Garmins herum und komme zu dem Schluss, dass ich hier leider richtig bin. Also gut, kann ja nicht lange so gehen. Tut es dann aber doch. Wurzeln, Sand, Steine groß wie Kinderköpfe – ich spule alle Loblieder, die ich bisher auf den Streckenchef gesungen habe, rückwärts ab und höre satanische Botschaften von Hass und Verderben.    

Mein Händy klingelt, Tom ist dran. Es gab doch keinen Platz mehr im Begleitfahrzeug, dafür hat er jetzt Christians zu großes Trek. Nur leider keinen Track, das Garmin hab ja ich. Zum Glück ist Tom durch die harte Schule seines alten Trainers Werner Mies gegangen und hat diverse “Orientierungsfahrten” durchs Ruhrgebiet mit dürftigem Kartenmaterial überlebt. Diesmal darf er sogar sein Telefon nutzen, also hab ich Hoffnung, dass er mich aufspürt.  

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Wer die Industriestraße in Großbeeren mag, kommt auch hier auf seine Kosten.

Ich warte an der erstbesten Kreuzung, an der ich wieder Asphalt sehe. Ein idyllisches Plätzchen an einer Ausfallstraße ins Industriegebiet, hinter mir ein Gartenbaubedarfshandel, vor mir ein LKW-Parkplatz. Ich setze meinen grimmigsten Gesichtsausdruck auf, um Serienmörder abzuschrecken und lese auf meinem Telefon 45 Artikel übers morgen stattfindende Katalonien-Referendum. Nach einer Stunde taucht mein Lieblingsmitfahrer auf, zum Glück noch rechtzeitig, bevor der Akku stirbt. Inzwischen ist es halb vier vorbei und wir haben leichten Zeitdruck. Toms Rad muss zwar nicht verladen werden – das von Christian aber schon!

Also nicht lange labern, sondern weiter über die Feldwege, die der Streckenplaner für uns vorgesehen hat. Ich unterschätze eine Kante im Boden, mein Rad kippt nach vorne und ich lande daneben. Einen Oscar gibt es für diesen Stunt sicher nicht. Wenigstens ist mein Trek halbwegs heil geblieben und ich anscheinend auch. Die linke Hand tut weh aber gebrochen fühlt sich anders an, also pro-stylemäßig Zähne zusammenbeißen weiter. Gut für die Heldengeschichten hinterher. Jetzt doch noch Ibu? Nee, ich will mir nicht noch auf die letzten Meter die fast saubere Pharma-Bilanz versauen.

Zu den Schmerzen kommt Hunger. Den einzigen Riegel, den ich heute dabei hatte, hab ich oben auf dem Berg gegessen. Konnte ja keiner wissen, dass das hier noch ein tagesfüllendes Abenteuer werden würde. Ich will nen Tankstellenstop, aber Tom will ankommen und Christians Rad einladen und rast im Renntempo durch Vorstädte Barcelonas. In einer Einkaufsstraße bleibt er stehen, zeigt auf einen Imbiss. Er hat Angst vor meiner schlechten Laune bekommen, aber da ist es schon zu spät:  “Dein Ernst? Ich will ein Snickers, keine halbe Stunde beim Kotzekocher rumhängen!”

Endlich erreichen wir Barcelona. Unter normalen Umständen wäre das sicher ein erhebender Moment. Doch für Pathos haben wir heute keinen Nerv mehr und keine Zeit. Außerdem fängt es jetzt auch noch an zu regnen. “In der Stadt – großes Blatt”, ruft der Ex-Kurier und ballert über Prachtstraßen in Richtung Strandpromenade. Statt dort das Mittelmeer zu begrüßen, schlängeln wir uns hektisch an den Spaziergängern vorbei und versuchen, keine kleinen Kinder zu überfahren, jedenfalls nicht so viele. Ich bin mit den Nerven am Ende, verfluche das Wetter, die Leute und Tom sowieso und hoffe, dass ich mich nicht nochmal hinlege. Tu ich dann auch nicht, weil ich die letzten Meter über nasses Pflaster schiebend absolviere.  

Am Hotel sind wir natürlich die Letzten. Die anderen sind schon längst in Zivil auf Sightseeingtour. Schorsch empfängt uns mit einem Zielbier aus dem überteuerten Spanierspäti nebenan und alles ist wieder gut. „Weißt du, was Werner Mies über Rundfahrten gesagt hat?“ fragt Tom:  “Die letzte Etappe ist die letzte Etappe. Und meistens geht alles kaputt”. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

 

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Danke und Werbung

Ob ich noch zu einem vernünftigen Epilog komme, bezweifel ich. Aber Danke sagen muss sein, diesmal allerdings ganz schnell, weil ich mal wieder dringend ins Bett muss. Susi, Doreen, Hermann und Stefan: Ihr seid die besten Betreuer wo gibt.  Immer fair, sicher, gelassen und freundlich, auch wenn das bestimmt nicht immer einfach ist mit 40 bisweilen hungrigen, nörgelnden Radfahrern. Ein Lob auch für den Streckendirk, der sich zu 98 Prozent richtig Mühe gegeben hat. Man merkt eben, dass er weiß, was er da tut und er hat sich sein Sabbatical im nächsten Jahr redlich verdient.

Apropos nächstes Jahr: Der WfF-Verein macht auch 2018 wieder Reisen, allerdings geht es diesmal nicht für zwei Wochen durch Europa, sondern schon im Januar durch Taiwan. Im Sommer führt die Reise nach Belgien in die Ardennen, dann aber nur eine Woche, das reicht dann auch, da isses bekanntlich gerne mal nass und zu viele Pommes sind ungesund. Ich  glaub, das lass ich mir nicht entgehen

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Hamburg – Berlin im smoothen Team

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Lissie und die starken Männer.

Hamburg-Berlin stand an und ich hatte keine Lust. Die Erinnerung an die Tortur des letzten 300ers war noch frisch und das vergangene Wochenende hatte ich damit zugebracht, in den Böhmischen Bergen mit meiner Form hadernd der Gäng hinterherzufahren. Ein Streit mit Mänz gab sein Übriges, um meine Vorfreude gen Null sinken zu lassen. Schlechte Aussichten für Dirk S., der zugesagt hatte, Julias Teamplatz einzunehmen – „aber nur wenn Liszt gute Laune hat“.

Zum Glück wurde dann doch alles viel besser als befürchtet. Am Bahnhof kaufte ich mir eine Packung „Gute Laune Mix“ bei DM und schloss Frieden mit Mänz. So vorbereitet konnten wir auch Dirk und Christian P. einsammeln. Super-Säppie, unser fünftes Teammitglied, musste leider passen wegen krank. Die Bahnfahrt nach Bergedorf verbrachte ich mit Carbo- und Bierloading, der Gute-Laune-Mix zeigte etwas Wirkung, das Bier tat sein Übriges. Pünktlich um 23 Uhr lagen wir in Geesthacht im Bett und schliefen durch bis um fünf. Vorher nochmal Wetterbericht checken: Wenn wir uns nicht zu sehr beeilten, könnten wir trocken durchkommen.

Gut gelaunt um 6:50 h? Drei Kaffee machens möglich.

Morgens verstaue ich das vorsichtshalber mitgeführte Raceblade zusammen mit den Regenüberschuhen im Rucksack. Knielinge, Armlinge, Windweste, das soll reichen für den milden Herbsttag, der uns erwartet. Die Herren Früh-Frühstücker haben es eilig, zum Buffet zu kommen, das leckerer ausfällt, als ich es in Erinnerung habe. Hauptsache nicht jetzt schon überfressen… 6:50 h Start, ab in den Frühnebel! Wir haben vorher nicht groß über das Tempo gesprochen, „Hauptsache ich komme mit“, war meine einzige Vorgabe. Christian legt eine angenehme Pace vor, nicht langsam, aber auch nicht so schnell, dass mir das Frühstück wieder hochkommt. So kann es von mir aus weitergehen.

Schnell rollen wir die ersten Fahrer auf, manche hängen sich für eine Weile hinten rein, manche gehen mit durch die Führung – nett gemeint, lieber Liegeradfahrer! – und alle fallen irgendwann hinten raus. Bei unfähigen Gruppenfahrern hilft Christian auch mal nach, indem er kurz über 40 peitscht. „Eat my dust“ wäre ein würdiger Trikotaufdruck für ihn. Zu mir sind die Teammitglieder zum Glück freundlicher, die gefürchtete Hitzacker-Gebirgskette verliert bei moderatem Tempo ihren Schrecken. Wir kurven über Feldwege – hallo, Ziehharmonikaeffekt! – nehmen eine Offroad-Passage, weil der Garmin es so will, und sind bald in Dömitz an der Kontrollstelle. Huch, ging ja schnell.

Hunger hab ich keinen, aber es gibt die leckeren Frühstücksbrötchen, nur diesmal leider in belegt. Kann ich keine Rücksicht drauf nehmen und vergesse, dass ich Käse auf dem Rad nicht so gut vertrage. Das fällt mir erst wieder ein, als es weitergeht. Zum Glück bleibt der Fahrstil der Begleiter so human wie vor der Pause und ich danke es mit anhaltend solider Laune, die sich nichtmal verschlechtert, als der Track uns über 2 Kilometer Offroad-Passage schickt. Derweil halte ich mich weiter an die Empfehlung des Großmeisters: Führungen mitgehen, aber nicht lange vorne bleiben. Vor Havelberg wird die Straße nasser und der Asphalt rauer und der Wind nervt auch langsam, wird Zeit für Kaffee!

Nass war’s auch, aber meistens von unten.

Den nehmen wir beim Bäcker des örtlichen Nettomarkts ein, Dirk will derweil Wasser holen. Schlechte Idee, denn alle Havelberger wollen gerade einkaufen. Wir erwägen kurz, einen Suchtrupp in den Markt zu senden, doch nach einer halben Stunde hat sich Dirk zur Kasse durchgebissen und wir können irgendwann weiter. Einen Kilometer bis zur örtlichen Bedürfnisanstalt. Inzwischen dürfte das halbe Teilnehmerfeld an uns vorbeigerollt sein, die meisten fangen wir dann aber bald wieder ein. Irgendwo vor Paulinenaue treffen wir auf eine schnelle Gruppe. Wir hängen uns rein, gehen durch die Führung, das Rudel wächst und wird für meinen Geschmack zu unruhig. Jeder, der nach vorne kommt, legt noch mal was drauf, meistens aber nicht für lange und hinten sitzen Typen die dreimal treten und dann wieder rollen lassen. Mir ist das irgendwann zu anstrengend und ich muss raus, am besten raus aus der ganzen Gruppe. Hinter mir entsteht ein Loch, ich lasse mich fallen, gucken wo der Rest der Gäng steckt. Huch, die Gruppe ist inzwischen ja ein richtiges Feld geworden, das nun leider an uns vorbeizieht. Zum großen Bedauern von Mänz, der weiter hinten saß und die Beine hochlegen konnte. Immerhin können wir den matschigen Radweg, der jetzt kommt, jetzt ganz alleine genießen und in Ruhe Räder und Gesichter panieren.

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Nur Dreck!

Statt auf der B5 Autofahrer zu ärgern nehmen wir den verkehrsarmen Weg Richtung Falkensee, ich merke inzwischen nicht nur meine Beine, sondern auch meinen Magen. An Überfressung kann das diesmal echt nicht liegen, ich schwör! Vielleicht war das Gel schlecht? Ich freue mich jedenfalls auf den Eintopf am Ziel, doch vom Wassersportheim Gatow trennen uns noch ein paar Kilometer und ungefähr 20 Ampeln in Falkensee, die alle rot sind. Alle! Ich wusste auch garnicht, dass Spandau so eine monströse Suburb hat, Falkensee zieht sich wie Wetten Dass …? Immerhin beschwert sich in Spandau niemand, dass wir den benutzungspflichtigen Radweg ignorieren. Unsere Schlammschicht wirkt vermutlich zu abschreckend. Kurz vor Schluss gehen bei Dirk die Lichter aus – kein Wunder, der hat sich auf den letzten 270 Kilometern auch gut ins Zeug gelegt. Auf Sparflamme rollen wir die letzten Meter zum Ziel. 15:52 h ist es, Zeit für Eintopf!

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