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Chiang Mai 3: Berge seltsam, Wetter gut

Welcome to the jungle

Ich hab ein neues Hobby: Wellness. In Berlin hab ich noch nie einen Fuß in ein Massagestudio gesetzt, hier war ich schon in dreien innerhalb von gut einer Woche. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der alte Körper vorher oder nachher weher tut, aber wenn ich schon jemanden dafür bezahle, dass er mir mit den Ellenbogen in den Rücken bohrt, dann will ich auch länger was davon haben. Nein, kein Happy End.

Sportlich macht sich das Massageprogramm noch nicht so richtig bemerkbar, die angepeilte Leistungsexplosion ist bislang jedenfalls ausgeblieben. Ich hab eine Vermutung, woran das liegen könnte: Die Berge hier sind nicht wie die in Europa. Sie sind unkalkulierbare Verwandlungskünstler, die steiler und länger werden, je öfter man drüber fährt. Und die restlichen Straßen – ich weiß auch nicht. Die Runde vom ersten Tag kam mir eigentlich gar nicht so schlimm vor. Flach, langer Berg, kurze Abfahrt, kurzer Berg, Abfahrt, steiler Berg, Abfahrt, fertig. So hatte ich das abgespeichert. Als wir das ganze dann aber mal in die andere Richtung fahren wollten, hat plötzlich jemand umgebaut. Die Berge sind noch da, nur sind sind die Anstiege jetzt ungefähr dreieinhalb mal so lang wie die Abfahrten beim ersten Mal. Und das ist eine vorsichtige Schätzung! Und dort, wo eigentlich unser Haus stehen sollte, kommen erstmal 20 Kilometer Baller-Highway. Kurios.

Die Straßen sind hier meistens in sehr brauchbarem Zustand.

Es gibt natürlich auch Berge, die schon bei der Ersterkletterung täuschen und tarnen. Der Mon Cham zum Beispiel. Der Kanadier von Tag eins hatte uns diesen Brocken mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Erschaudern ans Herz gelegt. Es gebe da Stellen von 35 Prozent Steigung: “This mountain teaches you a lot”. “Na sicha du Knilch,” denke ich und überlege, was mir so ein Thai-Berg wohl beibringen kann, was ich nicht schon an der Mauer von Baruth oder in irgendwelchen europäischen Hochgebirgen gelernt hätte.  

Der Weg zum Gipfel  beginnt dann auch mit einem soften Rollereinstieg, streckenweise ist mal das 32er-Ritzel gefragt, aber dann geht auch schon wieder leicht  bergab und nach rund fünf Kilometern summe ich den alten “Ärzte”-Klassiker: “Ist das alles?”. Ist es dann natürlich nicht. Das Schöne an den langen Thai-Bergen: Meistens wird es zwischendurch mal flacher oder es geht sogar mal runter. Weniger schön: Danach geht es meistens umso steiler wieder rauf. Der Mon Cham ist das beste Beispiel, immer wieder entlässt er einen kurz aus seinem Würgegriff, um dann umso unbarmherziger wieder zuzudrücken.

Ich rätsele immer noch, was mir der Berg nun beibringen wollte, außer dass ich da nicht so schnell wieder hoch will. Tom hat gelernt, dass man in Thailand lieber zwei Trinkflaschen mitnimmt. Man kann gar nicht so viel trinken wie man alles wieder ausschwitzt. Zum Glück bekommt man hier an jeder Ecke Flüssigkeitsnachschub. Die Versorgungslage ist überhaupt sehr erfreulich, egal ob auf irgendwelchen Gipfeln oder auf dem platten Land (ja, das gibt’s hier auch). Man kann eigentlich kaum mal 10 Kilometer fahren, ohne dass irgendwo ein Minimarkt oder irgendein Stand mit Obst, Gemüse oder Gegrilltem kommt. “Streetfood” heißt das wohl bei Leuten, die Donnerstags mit dem SUV in die Markthalle 9 pendeln.

Essen mitnehmen braucht man eigentlich nicht, das ist hier ja nicht Brandenburg.

Apropos Essen: Das ist hier fast immer lecker, aber meistens auch schön scharf und es hat ein paar Tage gedauert, die europäischen Gaumen daran zu gewöhnen. Aber als Radfahrer bringt man ja eine gewisse Freude am Leiden mit und inzwischen löffeln wir noch extra Chili über unsere Fitfuckerspeisen. Danach läuft uns dann meistens die Nase. Schleimhäute-Katharsis ist aber auch ganz willkommen bei der Feinstaubbelastung hier. In Thailand gibt’s keinen Tüv und erst recht keine Abgasuntersuchung, partikelfiltertechnisch ist vieles, was hier rumfährt auf dem Stand von 1950 oder so. Das nervt ein bisschen, wenn man zum Beispiel im Feierabendverkehr zehn Minuten hinter 20 Mopeds an irgendeiner Ampel steht. Und noch mehr, wenn man mitten in grüner Dschungelnatur einen Berg hochhechelt und sich dabei Luft in die Lungen zieht, die so klar ist wie in einem Parkhaus, in dem die Belüftung nicht funktioniert.

Aber wie sagte Toms alter Trainer Werner Mies aus dem Ruhrgebiet so schön: “Lieber draußen Krupphusten holen als drinnen den Hintern platt sitzen”. Ich finde ja, man kann sich drinnen auch prima bei der Thaimasage plattklopfen lassen. Aber die muss man sich ja auch erstmal verdienen.

 

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Chiang Mai 2: Surviving Linksverkehr

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Erster Tag geschafft. Mit Toms Hipstamatic-Filter auf der Kamera sieht die Verkehrssituation gleich more epic aus. 

Die Geschichte mit den Höhenmetern entpuppte sich dann als doch nicht so dramatisch. 1000 waren wie durch Zauberhand am nächsten Tag aus Toms Träck verschwunden. 1000 weitere haben wir versehentlich ausgelassen, weil wir einen Abzweig verpasst hatten. Das Bedauern hielt sich in Grenzen. Die eigentliche Herausforderung sollte heute ja auch eine ganz andere sein: Surviving Linksverkehr!

Dass die Leute hier alle in die falsche Richtung fahren, hatte ich schon vorher mitbekommen. Beim gelegentlichen Rollentraining in der Heimat hab ich ein paar Videos von Radfahrern in Thailand geguckt und mich gewundert, dass die nicht alle schon tot sind, so großzügig, wie die die Straße ausnutzen. Irgendwann hab ich dann mal gegoogelt. Da war die Reise aber schon gebucht.

Nun bin ich schon mit dem Rad durch England gefahren und hab das überlebt. Der Unterschied zu hier: da sind englische Autofahrer unterwegs. Die fahren gesittet hintereinander, das ganze ist überschaubar, selbst in London, City-Maut sei Dank. Hier dagegen schieben sich Autos, Mopeds, Tuktuks und ein paar vereinzelte Radfahrer durch die Straßen, oft stehen die Autos auch und dann schlängelt sich alles, was zwei Räder hat, drum herum. Die Verkehrsführung ist ungefähr so übersichtlich wie am Ernst-Reuter-Platz, nur dass wir hier die orientierungslosen Touristen sind. Ein System ist nicht so richtig zu erkennen, alles scheint hier mehr so “go with the flow”-mäßig zu laufen. Ich bin im Berliner Verkehr sozialisiert, da gibt’s Ampeln und Regeln und eine Menge Autofahrernazis, man kann sich überlegen, wie man mit all dem umgeht, aber die Verhältnisse sind zumindest klar. Hier dagegen hab ich keine Ahnung, wie die anderen Verkehrsteilnehmer so ticken, Ampeln gibt’s nur selten, dafür aber einige Kreisverkehre, keine Ahnung, wie ich da heil rein- und vor allem wieder rauskommen soll. Und wird aus rechts vor links hier links vor rechts oder nicht? Ach egal.

Surviving  Linksverkehr

Außerhalb der Stadt ist alles halb so wild.

Erstmal muss ich über die Straße kommen, und das ist gar nicht so einfach, denn der Strom der Autos und Mopeds will einfach nicht enden. Nach zehn Minuten Lauern bin ich tollkühn genug, ich kann Tom ja auch nicht ewig auf der anderen Seite warten lassen. Später lerne ich, wie die Thais in solchen Fällen vorgehen: einfach erstmal am Rand im Gegenverkehr rollern und dann im geeigneten Moment rüberziehen. Bei Autos mangels Platz schwierig, mit Rad und Roller klappt das aber manchmal.

Auf der richtigen Seite der Hauptstraße angekommen, verbringe ich die ersten Kilometer damit, mich einfach immer links zu halten, Schlaglöchern auszuweichen und dabei Toms Hinterrad nicht aus den Augen zu verlieren. Was gar nicht so einfach ist, weil ich aus den Augenwinkeln lauter spannende Sachen sehe. Also vor allem Stände mit Essen. Früher oder später werden wir hier anhalten müssen, Riegel hab ich mir nämlich nicht aus Deutschland mitgebracht, hatten ja nur 30 Kilo Freigepäck (by the way: was hab ich mir eigentlich dabei gedacht, mit der schweren Lederjacke einzureisen?).

Während ich noch überlege, welche Thai-Verpflegung wohl am schnellsten macht, fängt auch schon der erste ernstzunehmende Berg an. Nur weiß ich das noch nicht, weil ich nicht aufs Höhenprofil geschaut habe. Vor uns tauchen andere Rennradfahrer auf, eine drahtige Frau und ein Mann, beide gleiten im eleganten Wiegetritt dahin, sieht ziemlich sportiv aus, zumindest von weitem. “Überhol die bloß nicht”, zische ich zu Tom. Kein Bock, dass das hier gleich in ein Rennen ausartet. Tom nimmt Tempo raus, wir kommen trotzdem immer näher. Na gut, umkippen will ich ja auch nicht, also vorbei da. Sind die so langsam oder bin ich so schnell? Ich hoffe auf letzteres, mag aber nicht so recht dran glauben, doch der Garmin gibt mir Recht: ich klettere hier gerade mit Fitfuckerbeinen den Berg hoch. Wie kann das sein?! Am Lebenswandel der letzten Wochen kann es eigentlich nicht liegen – es sei denn, durchtanzte Klubnächte zählen als Cardio-Workout. Darf ich dann auch Gin-Tonic in die Trinkflasche… Nee, das führt zu weit.

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Von White Christmas träumt hier niemand. 

Wie auch immer, der Berg ist dann doch sehr lang, zum Ende hin zu lang, zum Glück hab ich eine Minibanane in der Trikottasche. An den Ständen, die immer noch gelegentlich auftauchen, sieht es aus wie am Hühnerhaus am Görli, überall ganze Hähnchen am Spieß. Nix für mich. Leicht hungrig geht es nach kurzer Abfahrt in den zweiten Anstieg des Tages, der zwar deutlich kürzer, aber dafür auch deutlich steiler ist. Aua. Erholung gibt es erst auf dem Gipfel, wo wir Nicholas aus Kanada treffen. Er trägt ein ärmelloses Triathletenleibchen, solche Leute kann ich eigentlich nicht ernst nehmen, aber hey, er ist jung und wir sind in den Tropen, da sind solche modischen Fehltritte verzeihlich. Und weil es nett ist, die Strava-Flybys mal persönlich kennenzulernen, steuern wir zu dritt das nächste Café an.

Nicholas erzählt gern, zum Glück nicht nur von seinen Leistungsdaten, sondern auch vom neuen Thailändischen König, der wohl selbst ganz gerne Rad fährt. Sein Volk hat deshalb Radfahrer zu respektieren. Monarchie ist vielleicht doch nicht das schlechteste. Aber in Deutschland wär der Kaiser sicher ADAC-Mitglied und Andi Scheuer wär sein engster Berater… Es scheint jedenfalls einen regelrechten Radfahr-Boom hier zu geben, gerade in Chiang Mai, und man muss höllisch aufpassen, dass man nicht auf einer der vielen Ausfahrten, die hier angeboten werden, von durchtrainierten Thais im Rentenalter kurz und klein gefahren wird. Oder einem der vielen australischen Expats, die hier übersommern und nichts anderes machen als Berge rauf- und runterfahren, um auf Strava mit ihren Leistungen zu prahlen als wär das ein Quartettspiel und als würde es irgendwen interessieren.

Ich fasse den Entschluss, sie alle platt zu fahren. Aber erst morgen oder übermorgen, wenn ich mich akklimatisiert habe. Oder demnächst, wenn ich mich daran erinnert habe, wie Abfahren geht. Oder spätestens in ein paar Wochen, wenn mein Körperfett unter der Tropensonne dahingeschmolzen ist. Zur Not eben erst nächsten Winter, wenn ich wiederkomme. Sollte ich machen, weil Linksverkehr kann ich jetzt jedenfalls.

https://www.strava.com/activities/2052128021

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Chiang Mai 1: Mai Thai? Nee, Thai-Januar

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Traumstrände, Vollmondpartys, Sextourismus, Tempel – interessiert uns alles weniger, aber Radfahren kann man hier wohl auch ganz gut.

Es gibt ein paar gute Gründe, Berlin zu lieben. Der Winter gehört nicht dazu. Deshalb bin ich seit vorgestern in Thailand, genauer im Norden, in Chiang Mai. Dort sollen ganz passable Bedingungen zum Radfahren herrschen, so stand es jedenfalls im Tour-Forum. 20 bis 30 Grad, viel Natur mit brauchbaren Straßen und ein paar Bergen. Dazu thailändisches Essen und günstige Massagen – Tom und ich fanden das ganz überzeugend und haben Flüge gebucht.

Während sich am Silvesterabend der Feinstaubnebel über Berlin legt, sitzen wir in der Boeing 787 hinter brüllenden Babies und gucken uns das Feuerwerk über Warschau an, bzw. das, was durch die Wolken davon zu erkennen ist. Zwischenziel: Doha. Dort haben wir 14 Stunden Aufenthalt, Quatar Airlines zahlt uns dankenswerterweise ein Hotel, doch zunächst scheint es gar nicht so sicher, dass wir den Flughafen überhaupt verlassen dürfen. Dem Beamten am Ausreiseschalter gefällt Toms Reisepass nicht, weil der ein bisschen ramponiert ist. “What is this?”, fragt er fünfmal, während er mit stumpfem Blick auf das beschädigte Papier stiert. Die Erklärungsversuche will er aber gar nicht hören. Stattdessen alarmiert er einen Kollegen, der beide unsere Pässe an sich nimmt, uns ein paar Meter weiter wegführt und stehen lässt.

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Der Abschied von Tegel fällt nicht so schrecklich schwer.

Ich bin müde, hab Hunger und folglich ziemlich schlechte Laune. Ein Verhör zu vergangener Reisetätigkeit in Staaten, die vom WM-Ausrichter 2022 bis heute nicht anerkannt werden, dürfte jetzt für alle Beteiligten nicht so angenehm werden. So weit kommt es dann aber zum Glück doch nicht. Der neue Beamte stolziert in seiner schmucken schwarzen Bundfaltenuniform ein paar Mal vor den Ausreiseschaltern auf und ab, plauscht mit Kollegen, wendet unsere Pässe hin und her, macht aber keine Anstalten irgendwas zu prüfen. Schließlich bekommen wir sie wieder und lassen uns schnellstmöglich zum Westin-Hotel kutschieren. Auf dem Weg durch die gerade erwachende Stadt sehe ich eine einzige Frau, ansonsten nur Männer aus weiter entfernten Teilen von Asien. Im Hotel ist es nicht besser. Der freundliche Rezeptionist weist uns auf die Happy Hour-Angebote in der Bar hin. Nee danke, nach den letzten bacchanalen Wochen in Berlin kommt uns der Aufenthalt im Abstinenzlerstaat eigentlich ganz Recht. Das Frühstück verpassen wir auch, stattdessen ein paar Stunden schlafen und ab in die Sauna, natürlich Männer und Frauen getrennt.

Zurück am Flughafen gibt’s zum Glück keinen Ärger, der Flug läuft reibungslos, diesmal lassen wir uns nichtmal mehr Gin Tonic ausschenken, denn ab jetzt ist das Programm klar: in Thailand wird gefitfuckt, keine Diskussion. Ob das klappt? Zuletzt war ich im Herbst in Kroatien ernsthaft Radfahren, danach beschränkte sich körperliche Ertüchtigung auf halbstündige Ausflüge auf die freie Rolle und diverse Sporttechno-Nächte. Mal sehen, was von der Form noch übrig ist. Aber bitte noch nicht heute.

Um kurz vor 8 Uhr morgens klettern wir vor unserem Quartier aus dem Taxi. Vor 40 Stunden sind wir noch durchs Berghain gesprungen. Das fühlt sich jetzt sehr viel weiter weg an als die 8000 Kilometer zwischen Berlin und Chiang Mai. Zum ernsthaft Radfahren sind wir zu übernächtigt, aber Rumlaufen geht und so brechen wir erstmal zu einem kleinen Gewaltmarsch auf, um zu gucken, wo wir hier eigentlich gelandet sind.

Auf jeden Fall in einer Stadt, in der Fußgänger nicht wirklich vorgesehen sind. Bürgersteige sind holprig, schmal oder gar nicht erst vorhanden, und wenn, werden sie auch gerne von einem der Millionen Mopeds als Ausweichstrecke genutzt. Ampeln gibt’s so gut wie keine. Zu allem Überfluss herrscht auch noch Linksverkehr. Das kann ja heiter werden. Zum Glück scheinen die Autofahrer nicht besonders mordlustig zu sein, das macht Hoffnung für morgen. Da versuchen wir dann mal, uns mit den Rädern aus der Stadt zu hangeln. Tom hat einen Träck gebaut, der angeblich 3500 Höhenmeter auf 80 Kilometer versammelt und ich bin zu müde, um ernsthaft zu protestieren. Er wird schon sehen, was er davon hat.  

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