
Ey Internet! Wir brauchen mehr Infos zu Berga und seinen Anarchistentraditionen.
Gestern war der erste Abend auf der Europaradtour, an dem ich komplett nüchtern geblieben bin. Und heute kam der erste Berg, den ich richtig gut hochgeballert bin. Kausalzusammenhänge schließe ich aber aus, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Am Abend hatte ich auch zum ersten Mal Pizza auf der Tour, ziemlich sicher lag’s daran.
Auf die Diavolo vom Vorabend hab ich dann auch erstmal ein üppiges Frühstück draufgeworfen. Was das angeht, hab ich Spanien übrigens komplett unterschätzt. Ich dachte, hier gibts morgens allenfalls ein labbriges Croissant. Stattdessen Kuchen und anderes Süßgebäck, Baguette, Tortilla, Käse und natürlich Wurst. Nur die deutschen Müslijünger werden mit dem Kellogsverschnitt hier nicht glücklich und mantschen sich morgens ihre mitgebrachten Haferflocken. Sollen sie, ich muss schon sehen, dass ich mich nicht überfresse an dem Zeug, was ohnehin da ist.
Das klappt heute nur so mittel, auf den ersten Kilometern liegt das Frühstück jedenfalls noch schwer im Magen. Umso größer die Freude, als keine drei Kilometer nach dem Start schon der erste Berg angekündigt wird. Das kann ja heiter werden. “Wir sehn uns oben”, sage ich zu den Begleitern, die sicher gleich an mir vorbeiziehen. Tun sie aber nicht. Stattdessen bin ich diejenige, die plötzlich vorne fährt. Hä?! Na gut, ist ja auch noch ziemlich flach. Wenigstens Tom erbarmt sich und setzt sich an die Spitze, während er geräuschvoll seine gereizten Bronchien auf die Straße aushustet. Die Spandauer Schrankwand Mark ruft von hinten irgendeinen Raucher-Diss. Ab jetzt ist mein Ziel klar: Ich will diesen Berg so hochfahren, dass ich Tom noch husten, aber Mark nicht mehr brüllen höre.

Pyrenäen sind auch von unten schön.
Klappt aber nur kurz, denn irgendwann höre ich gar nicht mehr viel. Auch gut. Der Berg fetzt. Die Steigung liegt nie über 8 Prozent, wenn überhaupt, und Garmin sagt, ich bin ganz gut unterwegs. Und das trotz blödem Raspelasphalt. Wenn ich ein Riese wäre, würde ich mir an der Straße sicher gern die Nägel feilen. Aber ich bin nur ein Bergelefant mit Rückenproblemen und hampele Dehnübungen machend auf meinem Rad über den Riffelboden.
Hinter mir blitzt ein blaues Trikot auf. Herlind hat das Potential dieses Ballerbergs offenbar auch erkannt und fliegt an mir vorbei. Äääh, moment ma! Okay, ich hab sie am Anfang ja überholt. Und für Strava zählt nicht, wer als erstes oben ist, sondern wer am kürzesten gebraucht hat. Strava? Na klar. Das Leistungsträger-Schwanzvergleichstool hat mich am Anfang der Tour ja herzlich wenig interessiert. Aber jetzt, wo zu erahnen ist, dass sich der alte Körper wieder ans Radfahren gewöhnt, habe ich beim Bergauffahren plötzlich wieder meinen späteren Platz im Ranking vor Augen. Es nervt, aber es motiviert. Auch wenn es reichlich albern ist. Die letzten Meter bis zum Passschild absolviere ich jedenfalls hart an der Kotzgrenze. Hat sich dann letztlich auch gelohnt, sagt Strava. Na bravo.
Nach dem Berg kommt Abfahrt und dann wieder Berg und dann Büffet. Das steht heute netterweise auf dem Gipfel. Bonus: Nebenan gibt’s eine Berghütte, der Betreiber sieht aus wie ein durchschnittlicher Besucher des Yaam-Clubs, irgendwie links und sehr entspannt. Hinter der Kaffeemaschine hängt ein Bob Marley-Portrait, auf der Terrasse läuft Reggae. Kann ich ja eigentlich nicht leiden, aber weil das hier oben alles so schön surreal ist, gefällt’s mir ganz hervorragend. So gut, dass wir nach dem ersten Kaffee gleich noch einen trinken. Irgendwann müssen wir dann aber doch weiter, es kommen ja noch ein paar Berge.

Fahrnse rauf, könnse runterkieken.
Erstmal ein unnützer, der zu einer Skistation auf über 2000 Meter führt. Im Sommer wirkt das hier alles sehr befremdlich. Die Hütten sind unbewohnt und es gibt leere Busparkplätze von der Größe des halben Saarlands. Als ich mich so die Steigungen raufquäle, kommt mir Schorsch von oben entgegen: “Mein Träck ist beschmutzt, mein Träck ist beschmutzt!” Man hat ihm wohl verschwiegen, dass das hier nur ein Stich ist. Gleicher Weg runter wie rauf, sieht eben scheiße aus auf dem Träck. Aber wen interessiert die Optik, wenns um die letzten Höhenmeter des Urlaubs geht? Dass das hier nichts für Ästheten ist, wird auf dem “Gipfel”, klar, den man eigentlich gar nicht Gipfel nennen kann. Ein Parkplatz ohne Aussicht, auf dem ein Jung-Katalanenpaar das Autofahren übt.
Egal, im Laufe des Tages gibt es noch reichlich zu gucken und es ist viel Schönes bei. Klar, das hier sind die Pyrenäen! Mein Körper hat von Bergen allerdings inzwischen genug, zumindest für heute. Am vorletzten Anstieg des Tages lasse ich nicht nur Tom, sondern auch Schorsch kampflos ziehen. Strava? Mir doch egal. Am Schluss nochmal ein Stich, rauf zu einem Aussichtsturm, von dem aus man die Geier zur Abwechslung mal von oben angucken kann. Außerdem blickt man auf Berga, die Kleinstadt, in der wir heute wohnen.
Unten ist es angenehm abgerockt, überall hängen Katalanische Fahnen, das “Si” zum Unabhängigkeitsreferendum findet sich im ganzen Stadtbild, auf Plakaten, auf Transparenten an den Fenstern der Häuser oder in Graffiti. Die anarchistisch-separatistischen Söhne der Stadt werden in großflächigen Wandmalereien geehrt. Wir beschließen, uns das nachher noch näher anzugucken. Erstmal aber ein paar Empfangsbiere trinken. Egal welchen Effekt die nun haben. Morgen kommen sowieso kaum noch Berge.